An die Opfer der Nazi-Herrschaft in Frankenberg erinnerten am 10. November Bürger aus der Region mit einer öffentlichen Gedenkstunde in der Rathausschirn und bei einem anschließenden Rundgang durch die Altstadt. Eingeladen hatten dazu die Frankenberger Jungsozialisten, die an sämtlichen 38 „Stolpersteinen“ mit der Aufschrift „Hier wohnte…“ an den Häusern weiße Rosen niederlegten.
Vor der 1986 angebrachten Gedenktafel im Inneren der Rathaushalle brannten Kerzen, als die Teilnehmer hier von dem Juso-Vorsitzenden Hendrik Klinge begrüßt wurden. Unter den Gästen waren auch der SPD-Landtagsabgeordnete Reinhard Kahl, mehrere Stadtverordnete, Karl-Heinz Stadtler vom Förderverein Alte Synagoge Vöhl und Manfred Scholz von der Initiativgruppe „Stolpersteine“, die von 2006 bis 2008 mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig die kleinen Metalltafeln verlegt und damit erstmals in Frankenberg ein namentliches Gedenken an die Ermordeten ermöglicht hatten.

Karl-Hermann Völker vom Frankenberger Geschichtsverein, der gemeinsam mit der 86-jährigen Zeitzeugin Gretel Fontenot geb. Kornemann an die jüdischen wie auch die politischen NS-Opfer aus der Ederstadt erinnerte, freute sich zu Beginn besonders, dass der Impuls für die Pogrom-Gedenkveranstaltung in diesem Jahr von jungen Leuten ausgegangen sei. Er berichtete, dass vor genau 70 Jahren die letzten fünf älteren jüdischen Bürger Frankenbergs mit der Bahn nach Kassel und von dort weiter nach Theresienstadt und später in den Tod deportiert worden seien. Völker: „Frankenberg, in dem über Generationen christlich-jüdisches Zusammenleben gepflegt wurde, galt nun im zynischen Nazi-Jargon als ‚judenfrei'“.

Foto: Gedenken mit weißen Rosen
Am Haus Obermarkt 14 zeigte Völker Bilder von dem aus Frankenau stammenden jüdischen Kaufmann und Gemeindvorsteher Emil Plaut, der als kaisertreuer Teilnehmer des Ersten Weltkriegs auf ein Überleben gehofft hatte, aber ebenso wie seine Frau verschleppt und ermordet wurde. Im gegenüberliegenden Stadthaus betrieb die Familie Dilloff ihren Kolonialwarenhandel. „Zum Einkaufen bin ich dort oft die Kellertreppe in den Laden hinunter gegangen“, erzählte Gretel Fontenot. Das langjährige SPD-Magistratsmitglied Samson Dilloff durfte nach den letzten Kommunalwahlen vom März 1933 sein Mandat nicht mehr annehmen – seiner Familie gelang die Flucht nach Amerika.
Am Stolperstein vor dem Haus Untermarkt 16, heute Restaurant „Philippo“, gedachte die Gruppe an den Sozialdemokraten Karl Richter, der nach KZ-Androhungen ins Ausland geflohen und als Widerstandkämpfer in Spanien auf Seiten der Republikaner gegen das Franco-Regime gekämpft hatte. Er wurde der Gestapo ausgeliefert, schrieb aus dem KZ Sachsenhausen noch letzte Briefe, die seine Nichte Gretel Fontenot bis heute aufbewahrte. Richter wurde am 27. März 1944 in Majdanek ermordet.

Foto: Zeitzeugin Gretel Fontenot, Vorsitzender des Geschichtsvereins Karl-Hermann Völker
Vor der ehemaligen Synagoge im Scharwinkel und an der jüdischen Schule Hainstraße 11 schilderte Gretel Fontenot, wie von der SA organisierte Jugendliche am 9. und 10. November beide Häuser verwüsteten. „Sie zerschlugen das Klavier der Lehrerfamilie Stern und schmissen das Mobiliar durchs Fenster in den Garten“, erzählte die Augenzeugin. Der verdiente Lehrer Ferdinand Stern wurde verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert, wo er umkam. Seine Frau Martha, drei Söhne und die Schwiegermutter wurden 1942 ermordet, ein Sohn und eine Tochter konnten entkommen. Sechs weiße Rosen legten die Mitglieder der Juso-Gruppe allein an diesem Haus an den Stolpersteinen nieder.
